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DIE DDR LEBT – IN EINER HOLLÄNDISCHEN GARAGE

Frankfurter Allgemeine, 4 mei 2003
Falko Hennig

Nach dem idealen Standort eines Museums über die DDR gefragt, könnte man auf verschiedene Städte kommen: Eisenhüttenstadt, früher Stalinstadt, Guben und Chemnitz, die einstigen Wilhelm-Pieck- und Karl-Marx-Städte bieten sich genauso an wie Ostberlin, das damals nur “Berlin, Hauptstadt der DDR” genannt werden durfte. Doch ausgerechnet findet sich ein solches DDR-Museum hinter Deichen unterm Meeresspiegel in Holland. Bereklauw heißt die Straße in der beschaulichen Ortschaft Monnickendam, eine halbe Autostunde östlich von Amsterdam. Vor dem Haus steht ein BMW, das Grundstück liegt am Wasser, über die Kanäle kann man im Winter bis Amsterdam laufen.

“Thea!” stellt sich die Dame des Hauses vor. Das Ehepaar Thea und Friso de Zeeuw führen uns zu einem mit Vitrinen ausgestatteten Raum, von dem man nur noch ahnen kann, daß er einst eine Garage war. Dort hinter Glas ist alles versammelt, was es an Erinnerungen an die DDR geben kann: Spielzeug-Wartburgs, Modelle des Lkw W50, Pionierausweise und “Schwerter zu Pflugscharen”-Aufnäher, FDJ-Blusen in Originalverpackung, auch Pionierkleidung, Messemännchen, die bunten Plastebecher mit den großen weißen Punkten, Frische Rahmbutter, Tempo-Linsen.

Wir fragen den 50jährigen Friso de Zeeuw, wann er zu sammeln begann: 1985 war er zum ersten Mal in Berlin mit dem üblichen Tagesausflug in den Osten. Er war sofort begeistert von der “Seriosität am Grenzübergang”, die anderen als Schikane erschien, von dem eigenartigen Geruch aus Braunkohle und Trabi-Abgasen. DDR-Andenken zu kaufen begann er aber erst im Dezember ’89 nach dem Mauerfall. Sein erstes Stück war eine Kopfbedeckung mit der Aufschrift “Grenztruppen der DDR”, die sich später als gefälscht herausstellte.

Die Sammelleidenschaft dehnte sich schnell in alle möglichen Richtungen aus: Ein Mitropa-Wertschein des Rügen-Hotels Saßnitz, Edel Cassis, ein Glas “35 Jahre Kfz-Kompanie 4”, Elasan Zart Creme, Wimpel “Für hervorragende Leistungen im Wettbewerb Schöner unsere Städte und Gemeinden – mach mit”, ein anderer “Für hervorragende Leistungen im sozialistischen Wettbewerb”. Ein Fernseher robotron combi-vision RF 3301 samt Bedienungsanleitung, NVA-Stoppuhr, Walter Ulbricht in einem Buch lesend. Irgendwann stellte sich die Frage, mit dem Sammeln aufzuhören oder ein Museum zu eröffnen.

Das Museum existiert seit zwei Jahren, Besucher sind vor allem Landsleute, die als Geschäftsleute oder Kirchenvertreter die DDR näher kennengelernt haben. Aber selbst Holländer, die in DDR-Gefängnissen saßen, erkennen sich in der Ausstellung wieder und sind nicht weniger angetan als ehemalige SED-Funktionäre. Wobei die ironische, unpolitische Ausrichtung des ganzen Unternehmens bei Besuchern mit ostdeutscher Vergangenheit besser ankommt als bei Westdeutschen.

Ein besonders herausragendes Stück ist ein etwa hüfthoher Karl Marx aus Bronze, dessen Hände hinter dem Rücken einen Hut halten. Die Skulptur hat Erich Honecker dem Chef der holländischen Kommunisten geschenkt, als er 1987 auf Staatsbesuch in den Niederlanden war. Jetzt dient die Figur im Sommer als Gartenzwerg auf der Terrasse eines Altkommunisten, im Winter bezieht sie Quartier bei den de Zeeuws. Über ihr hängt dort die Titelseite der “Neuen Berliner Illustrierten”, die Honecker auf Stadtrundfahrt durch die Amsterdamer Grachten zeigt.

Sogar Gläser von Honeckers Schiff “Ostseeland II” sind in dem kleinen Museum zu finden. Das Boot wurde 1989 in die Niederlande überführt, der Kapitän rief an, er habe noch Sachen zu verschenken, eine Fahne und Schnapsgläser “Superfest”, die wohl Honeckers Lippen berührt haben. Die Ferngläser hat der Kapitän allerdings nicht herausgerückt.

Wurde die DDR in den Niederlanden unkritisch gesehen? Nur eine kleine Gruppe von “fellow travellers” aus der linken Ecke hielten die DDR für den besseren deutschen Staat, glaubt de Zeeuw, keinesfalls war das allgemeine Meinung. Sehr wohl aber gab es in den Siebzigern eine breite Bewegung für die diplomatische Anerkennung des östlichen deutschen Staates, ein Button mit D.D.R. ERKENNEN NU zeugt in einer Vitrine davon. Es gab auch einen niederländischen Verein, der die Freundschaft zur DDR pflegen sollte. Trotz finanzieller Unterstützung aus Ostdeutschland bemühte sich diese Organisation, nicht zu kommunistisch zu werden.

Das Ehepaar de Zeeuw betreibt das Museum ehrenamtlich in Form einer Stiftung. Als Beruf gibt der Museumsherr “Projektentwickler” an, etwa von Kaufhäusern. Sie ist Sozialarbeiterin hier in Monnickendam. Tatsächlich war seine Sammelleidenschaft anfangs für seine Frau recht problematisch. Doch als auch DDR-Design einbezogen wurde, entschied sie sich, mitzusammeln. Umstritten ist unter den Eheleuten nur noch, ob vor der zum Museum umgebauten Garage demnächst ein Trabant stehen soll, im Größenverhältnis 1 : 1.

Ihre Stücke, wie das Urlaubstagebuch von 1974 aus dem Ostseebad Ahlbeck, finden sie auf Flohmärkten, meistens in Berlin. Mittlerweile bekommen sie aber auch viele Spenden von Besuchern. Ob er persönliche Lieblingsstücke habe? De Zeeuw weist auf die Armbanduhren in samtenen Schatullen und Medaillen “Für 30jährige Dienstzeit in den Organen des Ministeriums des Innern”. Die seien sehr selten geworden. Damals haben sie 200 Mark dafür bezahlt, vor zwei Jahren waren sie schon 600 Mark wert.

Ein Stasi-Ehrendolch war mit 1000 Mark noch teurer. Ist denn das ökonomisch noch vertretbar? “Überhaupt nicht!” de Zeeuw wiederholt es mehrmals zur Bekräftigung, aber er kennt auch die Beschränkungen seiner Leidenschaft. Sehr teuer war ja auch der Dienstkoffer des Zolls mit Infrarotanlage vom Grenzübergang Invalidenstraße, komplettiert mit einem Handbuch über die “Merkmale des Äußeren von Personen”. Aber es mache sogar noch mehr Spaß, an möglichst billige Stücke zum Aufstocken der Sammlung zu gelangen, wie etwa die Sandmännchen-Puppe oder die Plastik- Hühnereierbecher, die inzwischen zu Kultobjekten geworden seien und für Berliner Design-Geschäfte bereits nachproduziert werden.

Domal Fleckentferner, Rotkäppchensekt, Zitrona-Limonade, Delikateß Sauerkraut und Junger Spinat, unbrauchbar ist das alles schon lange, es besteht sogar Explosionsgefahr, aber dagegen gäbe es keine Versicherung. Ob sie die Jagdwurst in der Büchse schon mal probiert hätten? Sie wehren lachend ab: “Da soll man sehr viel davon benötigen!”, er zeigt auf das Toilettenpapier aus Heiligenstadt, fünfzig Pfennig die Rolle, dessen rauhfaserige Struktur, dem ostdeutschen Volksmund zufolge, angeblich bewirken sollte, daß auch noch “der letzte Arsch rot werde”.

Ein Fluchthelfer aus Holland hatte als angeblicher Arzt medizinische Gründe für die dringende Ausreise von DDR-Bürgern vorgetäuscht. Für Geld, nicht aus idealistischen Gründen, wie er gestand. Zwei Jahre mußte er dafür in Bautzen bei schlechtem Essen und monotoner Arbeit absitzen: jeden Tag zwölf Stunden, 5000 Schrauben. Schließlich wurde er freigekauft. Der Entlassungsschein, den er als einzigen Besitz aus dieser Zeit behielt, liegt jetzt in einer Vitrine.

Auf längere Sicht wollen sie es alles einem größeren Museum überlassen, der Raum sei ja hier beschränkt. Aber um von den Sachen endgültig Abschied zu nehmen, dazu sei eine psychische Reife erforderlich, die sie noch nicht haben. Bei den Nachbarn stößt das kleine Museum der Zeeuws auf Interesse, besonders deutsche Bekannte werden gern hierhergeführt. Einträge im Gästebuch wie “Ik heb so genoten!” oder “Ein wunderschönes Museum!” geben ihnen recht.

Das kleine DDR-Museum, die “Stichting DDR-Collectie” ist zu finden in der Bereklauw 10 in 1141 KM Monnickendam. Besichtigungstermine sind unter Tel. 02 99/65 18 72 zu erfragen. Einen ersten Überblick kann man sich auf der Website www.ddr-museum.nl verschaffen.